Im heimlichen Winkel der Seele

Petra Wenzel

In der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ zeigt das ZDF heute die experimentellen „16 Traumstücke“ – ein „Video-Essay“ über Träume von Frauen. Auf dem Bildschirm gibt’s kaum etwas zu sehen, dafür ist das Kopfkino ausverkauft (0.05 Uhr, ZDF)

Wo man sich mittlerweile daran gewöhnt hat, dass sich auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten im Abendprogramm mit Banken, Bier und Bechern voll Kaffee ihre Filme oder Fußballspiele präsentieren lassen, grenzt es nahezu an ein Wunder, dass „Das kleine Fernsehspiel“ des ZDF noch immer keiner der neumodischen Programmreformen zum Opfer gefallen ist. Dass sich die beständige Sendereihe darüber hinaus einen Film wie „16 Traumstücke“ der Filmemacherin und Videokünstlerin Anette Rose leisten kann, scheint dann selbst ein Traum zu sein.

Denn was man dort sieht oder besser: nicht sieht, will man erst mal gar nicht so recht glauben. Unwillkürlich reibt man sich die Augen, als wolle man sich den Schlaf aus den Augen reiben. Denn zunächst passiert überhaupt nichts. Kein Ton, keine Bewegung, dann endlich mal ein Kopf, ein zweiter und so weiter.

Lars von Triers Filmdogmen lesen sich gegen Anette Roses Reduktion alles Zusätzlichen fast wie ein Roman. Drei Kameras, ein ockerfarbener Raum und ein weißer Küchenstuhl, auf dem immer eine der Frauen sitzt, die ihre Träume erzählen, das ist alles, was Rose einsetzt. Irgendwann bekommen die Gesichter gestikulierende Hände und manche auch scharrende Füße.

Wenn nach langen Minuten eine der Frauen dann doch zu sprechen beginnt, ist man regelrecht erleichtert: Jetzt sagen sie endlich was, wo es schon so wenig zu sehen gibt. Und erzählen, das können diese sieben Frauen zwischen 25 und 40 Jahren.

Zum Beispiel von diesem Traum, in dem die eine einer anderen Frau eine Art Messer langsam am Arm unter der Haut ins Fleisch bohrt und sich hinterher total gut fühlt, weil da Widerstand war. Wäre das Fleisch weich und wabbelig gewesen, hätte sie überhaupt gar keine Lust verspürt, die Frau derartig zu „penetrieren“. Eine andere realisiert ihre Traum-Ohnmacht durch ihre Unfähigkeit, den Anblick eines glücklichen Paares zu ertragen. Darauf folgen wieder Sequenzen aus Fingern, die sich suchen, und haltlosen Füßen.

Das ist manchmal bedrückend, aber auch komisch. Man ertappt sich beim Psychologisieren, möchte aus diesen Bewegungen Schlüsse über die Frauen ziehen. Und natürlich auch aus dem, was sie erzählen. Aber so viel Zeit lassen sie einem nicht, sondern überraschen plötzlich mit einem ganz anderen Traum: zum Beispiel die Träumerin mit den Zopfschnecken, die von leuchtend lila Haarbändern gehalten werden. Limonengrün sei ja eigentlich eine total grässliche Farbe, sagt sie, aber nur mit einem solch farbenen Koffer hätte sie ihre Eltern aus der Diätklinik befreien können, aus der es kein lebendes Entrinnen gäbe, hatte man sie einmal betreten: „Man sah ja schon von untem im Dorf, dass da was nicht stimmte: Im Dorf schien die Sonne, und oben rund um die Klinik war Winter und Schnee.“ In einem anderen Traum befreit sie sich aus einem totalitären Staat und spinnt so hübsche Geschichten dazu, dass man meint, es mit einer Tagträumerin zu tun zu haben, der just in diesem Moment die Fantasie durchgeht.

Richtig absurd und komisch wird es schließlich, als eine der Frauen von der wundersamen Vermehrung ihrer Schamhaare erzählt. Oder eine andere von ihrer Begegnung mit Joschka Fischer, an deren Ende ein Hund Auberginen frisst – Stoff für etliche surrealistische Bilder.

Das Erstaunlichste ist, dass sie im Kopf entstehen. Man sieht wirklich selten so viel in einem Fernsehstück, in dem eigentlich nichts gezeigt wird.

In: taz, 26.01.2001, S. 12.

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